Die Schönheitskur für den Boulevard Unter den Linden ist im Gang: Fahrbahnen werden schmaler, Gehwege breiter, Parkplätze auf dem Mittelstreifen verschwinden, und Peitschenleuchten werden durch historisierende Kandelaber ersetzt. Das alles dient dem guten Zweck, das "Forum Fridericianum" wieder als "vornehmsten öffentlichen Stadtraum" erlebbar zu machen. Mitte des 18. Jahrhunderts wollte Friedrich der Große zwischen Linden und Behrenstraße das Zentrum der preußischen Monarchie entstehen lassen. Groß waren die Pläne - Wissenschaft, Kunst, Residenz -, wesentlich kleiner wurden sie Realität. Als erster Bau entstand 1741 das Opernhaus. Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff hatte mit diesem "korinthischen Tempel" Maßstäbe gesetzt: Er bereitete den Boden für den Klassizismus. Weil im toleranten Preußen "jeder nach seiner eigenen Facon selig werden" sollte, schenkte der protestantische König der katholischen Gemeinde ein Grundstück hinter der Oper. Mit Spenden aus ganz Europa wurde zwischen 1747 und 1773 die Hedwigskirche im Stil des römischen Pantheons verwirklicht. Die Bauaufsicht für den in die Ecke gedrängten Bau war Johann Boumann d. A. übertragen worden, der zuvor den ersten Berliner Dom am Lustgarten geschaffen hatte, ein Gotteshaus, das Kronprinz Friedrich Wilhelm allerdings an "eine im Krieg verunglückte Orangerie" erinnerte. Mit dem Stadtpalais für seinen Bruder gelang auf der Nordseite der architektonische Abschluß: "1749, den 8. May. Ist des Printz Heinrich Pallais der Grundstein gelegt worden." Weil Herr und Haus "eine Frau guttun wird", arrangierte der Alte Fritz für den "eingefleischten Frauenfeind" die Trauung mit Wilhelmine von Hessen-Kassel, zu der Heinrich mit "düsterer Miene wie zum Opferaltar" geführt wurde. Nach dem Einzug fanden hier jene betuschelten Bälle statt, auf denen "Prinz Heinrich als Sklavenmädchen auf dem Markte" tanzte. Nach seinem Tod wurde aus dem Palais 1810 die Friedrich-Wilhelm-Universität. Als letzter Bau wurde 1780 an der Westseite die Königliche Bibliothek fertig. Friedrich ll. setzte dafür einen alten Entwurf von Joseph Emanuel Fischer von Erlach für den Michaelertrakt der Wiener Hofburg durch. Entstanden ist ein neobarockes Gebäude, dessen bauchige Fassade mit Säulen, Pilastern und dem Dekor der Attika in starkem Kontrast zu den symmetrischen Umrissen des Opernhauses steht. Für die Berliner: die Kommode. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten, daß über die Südseite zumeist geschwiegen wird. Das Bauwerk der Wilhelminischen Ära gehört aber zu den architektonischen Raritäten der Hauptstadt. Weil ausgerechnet ein Brite davon überzeugt ist, daß sich "Berlin in der Entwicklung befindet" und daher "die Chance hat, genauso viele Besucher zu haben wie London oder Paris", bringt der Hotelier Sir Rocco Forte mit seinem "Hotel de Rome" neues Leben in das alte Gewand der Häuser Behrenstraße 38 und 39. An der Ecke Hedwigkirchgasse und Französische Straße 35 eröffnete die Dresdner Bank 1881 eine Filiale. Da das Geschäft florierte, verlegte die Geschäftsleitung 1884 ihren Sitz von Dresden nach Berlin. Sie kaufte die Grundstücke Behrenstraße 38/39 und ließ von Hofbaurat Ludwig Heim 1889 ein Haus im Stil der römischen Hochrenaissance errichten: Mit Kolossalsäulen, mit einem Fries über dem Obergeschoß, mit Atlanten, Balustraden und Skulpturen auf dem Dach demonstrierte das Bürgertum am Ende des 19. Jahrhunderts auch seinen gesellschaftlichen Anspruch. In den Jahrzehnten danach brachte das Bankhaus das gesamte Karree in seinen Besitz. Parallel dazu erfolgten Um-, Aus-, Auf- und Neubau. Hatte der erste Bau noch die historische Umgebung respektiert, so sprengte der Architekt Bruno Möhring 1923 mit der Aufstockung um drei Stockwerke jeden Maßstab. Die Bank überragte Oper, Bibliothek und Universität. Das Forum war aus dem Gleichgewicht, die Entrüstung enorm. Während aus den Bauten des 18. Jahrhunderts mit dem Weltkrieg Ruinen wurden, blieb die Dresdner Bank so weit erhalten, daß 1946 der Landesvorstand der SED hier Quartier nehmen konnte. Der Bauhaus-Schüler Richard Paulick nutzte den Wiederaufbau des Opernhauses für die Korrektur der städtebaulichen Sünden. Er ließ die bedrängenden Aufstockungen abreißen und das vom Platz aus sichtbare oberste Geschoß weit hinter die Dachbalustrade zurücksetzen. Dafür erhielt er vom "Spiegel" damals den anerkennenden Titel "Roter Schlüter". In den sechziger Jahren zog die SED aus und die "Staatsbank der DDR" ein. Als diese nicht mehr existierte, versuchte die Dresdner Bank, die Enteignung von 1945 rückgängig zu machen. Vergeblich. Jahre vergingen. Allmählich wurde der Öffentlichkeit bewußt, welches architektonische Juwel sich da erhalten hat. Mit "Lola rennt" und dem Banküberfall von Franka Potente wurde die imponierende Fassade bekannt, mit dem Projekt "Staatsbankberlin" öffneten sich die Türen. Dahinter sah man quergedachte Kunstpräsentationen, vor allem aber, daß die Innenarchitektur der Gründerzeit auch die DDR überlebt hat. Die "Hochtief Projektentwicklung" erhielt 2003 von der Oberfinanzdirektion Berlin den Zuschlag zum Kauf des Gesamtareals, weil diese mit vagen Ideenskizzen die denkmalgerechte Sanierung in den Vordergrund ihrer Bewerbung stellte. So wurden aus siebentausendundsiebzig Quadratmeter Grundfläche mit dem Neubau an der Ecke zum Gendarmenmarkt nebst Rekonstruktion und Aufbauten von Behren-Palais, Markgrafen-Palais und dem Bankgebäude 30 600 Quadratmeter zu vermarktende Mietfläche für Hotel, Büros und Wohnungen, alles zusammen ergibt das neue "Operncarree". Einige halten es dabei für traurig, daß der Architekt Richard Paulick nun "verraten" und den allerneuesten, zwar zurückgesetzten, aber vom Platz aus sichtbaren Dachaufbauten zugestimmt wurde. Rocco Fortes "Hotel de Rome" wird zwischen Frühjahr und Herbst 2006 im Bankhaus eröffnen. Die von diesem Imperium betriebenen Häuser wie "Le Richemond" in Genf oder "Chateau de Bagnols" machen deutlich, was die Hauptstadt demnächst erwarten kann. In dem Berliner Gebäude, in das die Hotelgesellschaft einziehen wird, gab es nicht nur den - geretteten - Charme des 19. Jahrhunderts, es gab auch "5 Kassenhallen, 14 Tresorräume und sogar ein Reisebüro, geschmückt mit Granitsäulen, Sandsteingliederungen und Stuckmarmor. In den Mosaikeinlagen der Fußböden waren die vier Hauptstandorte der Bank, Berlin, Dresden, Bremen und London, verewigt worden. Für die Büros der Direktoren benötigte man fast die gesamte erste Etage. Zweitausend Menschen arbeiteten hier. Tausende von Kunden drängten jeden Tag in die vier Haupteingänge." Vom Bürgersteig der Behrenstraße führen wenige Stufen hinein. Drinnen offenbart sich einer jener Paläste, wie sie einst Cäsar Ritz, Johannes Baur oder Adolf-Rudolf Armleder kreiert haben. Hoch und breit sind die Räume, und weit in die Tiefe geht der Durchblick. Vom Hoteleingang in der Behrenstraße bis zur Französischen Straße reiht sich eine Flucht von großzügigen Räumen auf, deren glasgedeckte originale Lichthöfe das Spiel von Licht und Schatten gratis liefern. Zweifellos am faszinierendsten ist die komplett erhaltene Wechselstube, die nun als Restaurant oder Ballsaal zum Palm Court wird: Über zwei hohe Altbaugeschosse ragt der Saal auf, der Boden aus Terrazzo mit Mosaikeinlagen, oben aber ringsum eine begehbare offene Galerie mit Sandsteinbalustraden und Rundbogenöffnungen, von deren Gängen die Gästezimmer abgehen. Um unten das Treiben und oben die Ruhe zu garantieren, wird diese Attraktion nun leider einfach zugemauert. Hinauf gibt es natürlich Fahrstühle, vor allem aber herrliche Treppenhäuser mit schmiedeeisernen Geländern und Wandverkleidungen mit Fliesen und Marmor. Von breiten Gängen mit Tageslicht gehen die Zimmer und Suiten ab. Doch nur ein Drittel der Raumdecken konnte gerettet werden, weil die Bauaufsicht beim Rest auf Brandschutzschicht nach "F 90" bestanden hat. Vieles aber erstrahlt wieder im aufgearbeiteten alten Glanz, die "Renaissance-Suite" zur Hedwigskirchgasse ganz in Mahagoni, die Vierfachtür mit Lederpolsterung für die Forum-Suite, der Deckenstuck allüberall, der von sieben Farbüberstrichen befreit werden muß. Erhalten geblieben ist auch einiges an farbigem Stuckmarmor. Unvergleichlich ist die Dachterrasse, von der aus dem Betrachter das ganze preußische Zentrum zu Füßen liegt: Oper, Hedwigskathedrale, Universität, Bibliothek, demnächst auch das restaurierte "Palais des Kaisers Wilhelm", in das der Hohenzoller am 15. März 1890 seinen Kanzler aus dem Bett zitierte. Das Gespräch war kurz und bündig: "Der Befehl meines Kaisers endet am Salon meiner Frau." Drei Tage später war Bismarck entlassen. Der Platz davor, 1911 Kaiser-Franz-Joseph-Platz, 1928 Opernplatz und ab 1947 Bebelplatz, einst von Peter Joseph Lenne mit feinen Grünanlagen bedacht, mußte mehr als eine Schönheitskur über sich ergehen lassen. Unten eine Tiefgarage, oben eine steinerne Fläche mit schicken Leuchten, mehr tot als lebendig. In seiner Mitte ließ Goebbels am 10. Mai 1933 Bücher verbrennen: "Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat!" Erich Kästner "war der einzige der Vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit beizuwohnen. Ich sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt." Auch das gehört zum "Forum Fridericianum". Frankfurter Allgemeine Zeitung, Donnerstag, 17. November 2005, Nr. 268 / Seite R 9 |