Der verleumdete Verleumder

Zur Geschichte des Künstlerneides: Pieter Bruegel als Provokateur der Antwerpener Kunstszene / Von Bertram Kaschek

Calumny of Apelles, 1565

Künstlerneid kann tödlich sein. Albrecht Dürer wurde in Venedig von Freunden davor gewarnt, mit italienischen Malern zu speisen: Mißgünstige Kollegen könnten versuchen, ihn zu vergiften. Der erfolgreiche Künstler lebte gefährlich. Dabei mußte es sich nicht immer um Giftmord handeln. Es gab durchaus zivilere und subtilere Methoden, einem ungeliebten Kontrahenten zu schaden. Eine besonders schöne, da unblutige Episode aus der Geschichte des Künstlerneides läßt sich um Pieter Bruegel d. Ä. rekonstruieren, der im Jahre 1565 eine für ihn völlig untypische Zeichnung schuf. Sie stellt die sogenannte "Verleumdung (lat. Calumnia) des Apelles" dar, einen Bildstoff also, der nur in literarischer Form aus der Antike überliefert ist. Diese Bildbeschreibung des griechischen Dichters Lukian wurde von Leon Battista Alberti in seinem einflußreichen Malereitraktat von 1435 paraphrasiert und den Künstlern zur malerischen Ausführung empfohlen. Renaissance-Heroen wie Botticelli, Mantegna, Raffael oder Dürer haben sich dieses Themas angenommen.

So auch Bruegel, doch in seinem Fall erscheint die Anverwandlung rätselhaft. Denn nach seinen übrigen Werken zu urteilen, konnte er nicht sonderlich viel mit antiken Formvorgaben anfangen. Denkt man an das Sprichwörterbild, seine Bauerndarstellungen, Landschaften und Höllenszenen in der Nachfolge Hieronymus Boschs, so wird schlagartig deutlich, wie sehr diese Werke den Idealen der italienischen Renaissance widersprechen. Warum also auf einmal dieses Thema, das geradezu paradigmatisch für den Rückbezug auf die Antike einsteht?

Laut Lukian hat Apelles, der größte Maler der Antike, sein allegorisches Gemälde einst aus Anlaß einer ihn betreffenden Verleumdung geschaffen. Sein neidischer Kollege Antiphilus hatte ihn beim ägyptischen König Ptolemäus bezichtigt, an einer politischen Verschwörung teilgenommen zu haben. Die Vollstreckung des vom Herrscher ausgesprochenen Todesurteils konnte nur durch den Einspruch eines tatsächlichen Verschwörers abgewendet werden, der die Unschuld des Apelles bezeugte. Zur Erinnerung an das ihm beinahe widerfahrene Unrecht schuf Apelles schließlich jene Allegorie, die sich nun auch Bruegel zu eigen macht. Trägt die Zeichnung also autobiographische Züge? Fiel auch Bruegel einer Verleumdung zum Opfer?

Tatsächlich gibt es einen Hinweis darauf, daß der Künstler 1565 aufgefordert war, sich gegen einen schlechten Leumund zur Wehr zu setzen. Denn in diesem Jahr erschien Lucas d'Heeres Gedichtanthologie "Den Hof en Boomgaard der Poesien". D'Heere war selbst Maler und ein ergebener Schüler von Frans Ploris, dem Hauptvertreter des flämischen Romanismus, also derjenigen Kunstrichtung, die sich in stilistischer Hinsicht den Vorbildern der italienischen Hochrenaissance verschrieben hatte. In seinem "Schmähgedicht an einen gewissen Maler, der die Maler von Antwerpen beschimpft hat" verteidigt er nun seinen verehrten Lehrer gegen die harsche Kritik eines Kollegen, der Ploris offenbar vorgeworfen hatte, "Zuckerbildchen" zu malen. Dieser kritische Zunftgenosse wird nun seinerseits in einer wüsten Gegenattacke von d'Heere denunziert: Er sei ein Pfuscher, Narr und Dummkopf, ein plumper Verachter der Schönheit, der seine eigenen Bilder wie Kirmespuppen schmücke, mit rauhen Borsten male und dessen Gemälde weder römisch noch antik aussahen, obwohl er doch in Rom gewesen sei.

Vor allem aufgrund dieser letzten Anschuldigung wurde immer wieder vermutet, daß es sich bei dem namentlich nicht genannten Maler um Pieter Bruegel handeln könnte. Denn dessen Italienaufenthalt zu Beginn der fünfziger Jahre hat, abgesehen vom Alpenerlebnis, nur marginale Spuren in seinem Werk hinterlassen Wir dürfen sogar annehmen, daß Bruegel sich mit Bedacht dem romanistischen Zeitgeist widersetzte und seine "Bauernmalerei" als ästhetische Opposition verstand. So zielt sein Vorwurf, Ploris male "Zuckerbildchen", auf das Kulinarische einer heidnisch-formverliebten Malerei, die sich vornehmlich in der selbstgefälligen Darstellung schöner nackter Leiber ergeht - und den rechten christlichen Geist vermissen läßt.

Wenn nun mit d'Heeres Schmähgedicht tatsächlich Bruegel gemeint sein solle, dann liegt es nahe, die Zeichnung mit der "Verleumdung des Apelles" als Bruegels gewitzte Erwiderung auf die in der Invektive erhobenen Anschuldigungen zu interpretieren. Denn der Entwurf erbringt den klaren Nachweis, daß er souverän über das Formenvokabular der Italiener verfügt (einzelne Figuren sind sogar bei Raffael entlehnt) und eine adaquäte künstlerische Antwort auf eine Verleumdung zu geben weiß. Mit seinem Blatt leistet Bruegel demnach einen bildlichen Beitrag zum polemischen Kunstdiskurs der sechziger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts.

Für eine solche Annahme spricht vor allem, daß Bruegel und Ploris für denselben Auftraggeber tätig waren: den sehr wohlhabenden Antwerpener Finanzbeamten Niclaes Jongelinck. Während Ploris vor allem in den fünfziger Jahren dessen Vorstadtvilla mit Gemälden ausgestattet hatte, ist zehn Jahre später Bruegel der Hauptlieferant: Just 1565 malt er seine berühmten Monatsbilder für Jongelincks Domizil in der Vorstadt. Offenbar hat er Ploris in der Rolle des Lieblingsmalers abgelöst und kann daher selbstbewußt über das "Zuckrige" des abgemeldeten Favoriten spotten.

Mit der Zeichnung aber entlarvt er seine "klassizistischen" Kritiker als die eigentlichen Verleumder und warnt davor, diesen auf den Leim zu gehen. So ist der König am rechten Bildrand, der die heranstürmende Calumnia (Verleumdung) wohlwollend empfängt, nicht nur durch seine Midasohren als dummer Kunstrichter ausgewiesen. Denn als Beraterinnen sind ihm Ignorantia (Unwissenheit) und Suspicio (Argwohn) beigesellt, die sich in aufreizender Eintracht dem Betrachter zuwenden. Dieser würde sich also selbst zum Midas machen, wenn er den Einflüsterungen der dubiosen Damen Gehör und Glauben schenkte.

Nur ein einziger Akteur scheint den italianisierenden Modus der Darstellung zu durchkreuzen: der ausgemergelte, lumpenbekleidete Lyvor (Neid), der die Calumnia an den König verweist und sich mit einer närrischen Geste ebenfalls an den Betrachter wendet. Auffällig ist vor allem seine Kappe, die derjenigen Kopfbedeckung gleicht, die der Maler in Bruegels etwa zur gleichen Zeit entstandenen Zeichnung "Maler und Kenner" trägt.

Sollte Bruegel sich mit dieser Figur also selbst bezeichnet haben? Tritt er als einfältiger Neid auf - in der Rolle also, die ihm durch das Gedicht d'Heeres zugewiesen wird? Wenn dies so ist, dann treibt Bruegel seine paradoxe Apologie wahrlich auf die Spitze: Während er als Autor der Zeichnung meisterhaft alle Renaissance-Register zu ziehen weiß, agiert sein Alter ego im Bild als tumber Narr. So fordert er den Betrachter in einer letzten Volte dazu auf, der schönen italienischen Bildordnung zu mißtrauen, die er doch selbst verfügt hat. Das ist nicht tödlich, sondern ironisch.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mittwoch, 7. September 2005, Nr. 208 / Seite N 3


Und hier geht es zurück zur Navigation